Unnötige Beitragserhöhung

Krankenkassen subventionieren Bundeshaushalt mit Milliarden

16.05.2023·Immer mehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben werden nicht aus Steuergeldern, sondern aus Beitragsgeldern der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bezahlt. Jahrelang wurden hierzu auch die Rücklagen der GKV genutzt. Statt struktureller Reformen und einem Bekenntnis zur finanziellen Verantwortung durch Bund und Länder sollen nun die Beiträge für Versicherte und Arbeitgeber erneut und diesmal deutlicher als sonst angehoben werden.

Für gut verdienende Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber sollen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung deutlich angehoben werden. Dies sehen aktuelle Überlegungen von SPD und Grünen vor. Mit den zusätzlichen Milliarden sollen finanzielle Lücken geschlossen werden, die - ordnungspolitisch richtig - aus Steuermitteln und nicht aus Beiträgen bezahlt werden müssten. Verlockend ist die Beitragserhöhung für Rot/Grün jedoch auch noch aus einem anderen Grund.

Beitragsbemessungsgrenzen sollen deutlich steigen

Anders als sonst soll zur Beitragserhöhung diesmal nicht der (Zusatz)Beitragssatz angehoben werden, sondern die Bemessungsgrundlage. Aktuell werden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nur aus einem Entgelt bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) erhoben. Für 2023 liegt die BBG bei monatlich 4.987,50 Euro bzw. 59.850,00 Euro jährlich. Entgelte darüber unterliegen bislang nicht der Beitragspflicht. Genau dies soll sich ändern. Nach den Plänen von SPD und Grünen soll die BBG zur Kranken- und Pflegeversicherung mindestens an die der Rentenversicherung (West: 7.300,00 Euro/Monat, 87.600,00 Euro/Jahr) angepasst werden. Im günstigsten Fall würde damit die Berechnungsbasis bei Entgelten ab 7.300 Euro pro Monat um 2.312,50 Euro steigen. Hieraus wären Beiträge zu zahlen, die bisher nicht angefallen sind. In der Summe könnten sich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber Mehrbeiträge von mehr als 5.600 Euro pro Jahr ergeben:

Krankenversicherung (14,6% + 1,6% Zusatzbeitrag):
2.312,50 x 16,2% = 374,63 Euro
Pflegeversicherung (geplant ab 01.07. / kinderlos):
2.312,50 x 4% = 92,50 Euro
Insgesamt für AN und AG: 467,13 Euro
(Selbstständige tragen den Mehrbeitrag alleine)
Mehrbeitrag pro Jahr (467,13 x 12): 5.605,56 Euro

Weil damit eine Fluchtbewegung von Besserverdienenden in Richtung privater Krankenversicherung (PKV) drohen würde, ist die gleichzeitige Anhebung der Jahresarbeitsentgelt- bzw. Versicherungspflichtgrenze (JAEG) sehr wahrscheinlich. Diese wird schon bisher durch Rechtsverordnung von der Bundesregierung festgelegt und steht in gewisser Relation zur Beitragsbemessungsgrenze. Zahlreiche bisher freiwillig Versicherte würden damit der Versicherungspflicht unterliegen, was wiederum dem Gedanken der Bürgerversicherung entspräche. Diese von SPD und Grünen bevorzugte Form der Kranken- und Pflegeversicherung würde quasi durch die Hintertür initiiert. Das Problem: Neben den Beiträgen würden auch die Leistungsausgaben entsprechend steigen - auch das demografische Problem würde im System der Bürgerversicherung verstetigt. Zudem stelle sich nach Meinung von Heinz Rothgang, Gesundheitsökonom und Professor an der Universität Bremen, die rechtliche Frage, ob die Versicherungsbeiträge bei einer deutlichen Anhebung der BBG noch in einem angemessenen Verhältnis zu den Leistungen stünden.

Beitragsanhebungen wären nicht notwendig

Das Hauptproblem der Kranken- und Pflegeversicherung sind nicht alleine die steigenden Kosten. Würden Bund und Länder ihrer Verantwortung zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben nachkommen, so wäre aktuell keine Beitragsanhebung notwendig.

Ordnungspolitisch richtig schulden Bund und Länder der Kranken- und Pflegeversicherung alleine in diesem Jahr rund 48,5 Milliarden Euro. Hierzu gehören:

Erstattung der vom Staat beauftragten versicherungsfremden Leistungen (rund 41 Milliarden Euro/Jahr, Quelle: DAK). Beitragszahler müssten damit nicht einseitig für gesamtgesellschaftliche Aufgaben zahlen. Bisher erstattet der Bund rund 14,5 Milliarden Euro. Schuldig bleibt er damit rund 26,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Beitragszahlung des Staates für Empfänger von Bürgergeld: "Im Auftrag des Staats organisieren und bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen die gesundheitliche Versorgung der Bürgergeld-Empfangenden, erhalten dafür aber vom Staat pro Jahr zehn Milliarden Euro weniger aus Steuermitteln, als sie für diese Versorgung ausgeben müssen", so Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes. Die GKV subventioniere damit den Bundeshaushalt Jahr für Jahr mit rund zehn Milliarden Euro aus Beitragsgeldern.

Rentenbeiträge für pflegende Angehörige: rund 3,7 Milliarden Euro. Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Pflegeversicherung zahlen aktuell die Kranken- bzw. Pflegekassen die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige.

Zahlungsverpflichtung der Bundesländer für Investitionskosten der Krankenhäuser: 3 Milliarden Euro. Dieser Verpflichtung kommen die Länder seit Jahrzenten nicht mehr nach, sodass Investitionen der Krankenhäuser teils aus den Behandlungsvergütungen mit bestritten werden müssen. Wie sehr sich das Problem verschärft hat, zeigt sich beim Vergleich mit den Ausgaben der GKV: Entsprachen die Investitionsmittel Anfang der 70er Jahre noch 25 Prozent der Gesamtausgaben der GKV, liegen sie heute deutlich unterhalb von vier Prozent.

Schulden des Bundes für Leistungen der Pflegekassen innerhalb der Pandemie: 5,3 Milliarden Euro

Definition: Versicherungsfremde Leistungen
Geld- oder Sachleistungen der Sozialversicherungen,

die über die Zweckbestimmungen der jeweiligen Sozialversicherung hinausgehen
mit gesamtgesellschaftlichem Nutzen
denen keine Beitragszahlungen gegenüberstehen bzw. vorausgegangen sind

Beispiele für versicherungsfremde Leistungen: Beitragsfreiheit von Familienangehörigen, Familiengeld, allgemeine Prävention, Unterstützung einkommensschwacher Gruppen, familienbezogene Sachleistungen oder Strukturförderungen im Gesundheitswesen.

Lauterbach: vom Gesundheits- zum "Beitragsminister"

Würden Bund und Länder ihrer Verantwortung gegenüber der Kranken- und Pflegeversicherung nachkommen, gäbe es dort aktuell kein Defizit. Dass nun jedoch erneut der Beitragszahler für den Staat einspringen soll, liegt auch an der Politik von Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD). Neben der Anhebung des Zusatzbeitragssatzes von 1,3 auf 1,6 Prozent zum Jahresbeginn und der ab 01.07.2023 geplanten Anhebung des Pflegebeitragssatzes um 0,6 Punkte auf bis zu 4,0 Prozent, stehen nun höhere Bemessungsgrenzen im Raum. Begleitet werden diese Beitragsanhebungen von Mehrausgaben im Zuge einer Klinikreform, der Entbudgetierung ärztlicher Leistungen, dem Wegfall von Festbeträgen bei Arzneimitteln und einer kostenintensiven Pflegereform.

Innerhalb der Regierungskoalition sind Beitragsanhebungen für Lauterbach damit das Mittel der Wahl. Jedes Nachkommen der finanziellen Verantwortung des Bundes würde dagegen eine Auseinandersetzung mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bedeuten. Eine für den Gesundheitsminister offenbar (zu) hohe Hürde, obwohl Teilbereiche dieser Verantwortung, wie die Dynamisierung des Bundeszuschusses und höhere Beitragszahlungen für Bezieher von Bürgergeld, bereits im Koalitionsvertrag vereinbart wurden.

Die aktuelle Politik der Beitragserhöhungen berge jedoch ein Problem, kritisiert Markus Jerger, Vorsitzender des Bundesverbandes Der Mittelstand (BVMW). Schon jetzt habe man die größte Abgaben- und Steuerlast und die höchsten Strompreise in Europa. "Und machen wir so weiter, haben wir bald auch die größte Deindustrialisierungsquote eines Landes", so Jerger.


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