Freie Ärzteschaft e.V.|09.11.2023
PRESSEMITTEILUNG
Freie Ärzteschaft fordert: Kein Zugriff auf sensible Patientenakten für Big Tech und Kassen!
"Minister Lauterbach plant mit diversen Gesetzen (Digitalgesetz und Gesundheitsdatennutzungsgesetz) einen völligen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Im Gegensatz zu der bisherigen Zustimmungslösung soll für die geplante elektronische Patientenakte (ePA) eine Widerspruchslösung greifen. Das heißt: Von jedem, der nicht aktiv widerspricht, werden die Krankheitsdaten zentral in der Cloud gespeichert. Diese Daten sollen zukünftig zu verschiedensten Zwecken genutzt werden können, auch von kommerziellen Firmen für gewinnorientierte Forschungen. So dürfen Krankenkassen beispielsweise aktiv auf Patienten zugehen und ihnen irgendwelche Vorschläge für medizinische Behandlungen machen", erläuterte Wachendorf die Situation rund um die elektronische Patientenakte und bezeichnete sie als ein "Unding aus Sicht von Ärzten und Patientenvertretern".
Europäischer Gesundheitsdatenraum unterläuft die ärztliche Schweigepflicht
Gleichzeitig will die Europäische Union einen "Europäischen Gesundheitsdatenraum" (EHDS) einrichten, der europaweit die Nutzung medizinischer Behandlungsdaten zu Forschungs- und Behandlungszwecken vereinfachen soll. "Das wird zu Recht von Ärzten und Datenschützern kritisiert, denn es unterläuft die ärztliche Schweigepflicht und damit den Kern der Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patienten", so Wachendorf.
Viel zu wenig sprächen die politischen Entscheider dabei jedoch über die praktische Umsetzbarkeit des ePA-Projektes im faktischen Medizinbetrieb, kritisierte der Medizinrechtler. "Wir reden hier von geplanten 60 Millionen elektronischen Patientenakten, die laut Gesetz erstmalig mit Daten befüllt und danach fortlaufend weiter gefüllt werden sollen." Woher diese benötigte Zeit der Ärzte des bereits jetzt überlasteten Gesundheitssystems kommen soll, sei vollkommen offen. Aufgrund des Zeitfaktors sei die Umsetzung des Projektes absolut unrealistisch und verursache nur weitere unnötige Kosten, führte der Bonner Experte weiter aus. Jetzt stelle sich heraus, dass mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen zwar durchaus zeitliche Entlastungen im Bereich der Krankenkassen einhergingen, jedoch zu zeitlichen Mehrbelastungen bei dem Flaschenhals der Ärzteschaft führten.
Bürokratie statt Behandlungszeit
Laut Wachendorf ergab eine kürzlich durchgeführte Analyse, dass ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte in Deutschland 7,6 Minuten Behandlungszeit pro Arzt-Patientenkontakt zur Verfügung haben. "Wenn also künftig eine Minute zusätzlich für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und wahrscheinlich eine weitere für das zwangsweise geplante E-Rezept anfallen, außerdem weiter mindestens 10 Minuten für die Erstbefüllung und sodann mindestens eine, voraussichtlich aber eher drei Minuten für die laufende Befüllung der elektronischen Patientenakte verloren gehen, bleibt für die Patienten nicht mehr viel übrig", rechnete Wachendorf vor.
Aufhebung von Vertraulichkeit und Datenschutz
Ein mindestens genauso großes Problem sei aber, dass die Vertraulichkeit der Patientendaten und der Datenschutz in der ePA gefährdet werden.
Rechtsanwalt Dirk Wachendorf dazu: "Die ePA ist eine patientengeführte Akte, die bei IT-Firmen gehostet wird. In ihr können sogar Fitnessdaten gespeichert werden sowie Word-Dateien und sonstige Dateiformate. Hierdurch besteht die Gefahr, dass Viren, Trojaner und Würmer in das ganze System geraten können. Die Daten werden verschlüsselt in die Praxen versendet; das beeinträchtigt Virenscanner in Praxen und Kliniken - ein datenschutzrechtliches Unding!"
Ärztinnen und Ärzte würden - sofern der Patient nicht widerspricht - gezwungen, die elektronische Patientenakte, die keine Suchfunktion enthält, einzusehen und sie zu bearbeiten; was letztlich an sich bereits einen zusätzlicher Aufwand darstelle. Jeder vom Arzt nicht gelesene relevante Befund der ePA impliziere einen Befunderhebungsfehler auf Seiten des Arztes, verbunden mit der Gefahr der Beweislastumkehr. Auf die Daten der ePA könne sich der Arzt nicht verlassen, da der Patient diese eigenständig löschen könne und sie somit unvollständig sein können.
Schon jetzt gibt es 5.000 unbesetzte Hausarztsitze in Deutschland - hat der Minister vor, mit seinen geplanten Gesetzen die gesamte ambulante Medizin kollabieren zu lassen?
ePA verweigern - patientenseits und seitens Ärzte- und Psychotherapeutenschaft!
"Man kann nur jedem Patienten empfehlen, gegenüber dem Arzt des Vertrauens dieser ePA aktiv zu widersprechen. Ärzte und psychologische Psychotherapeuten sollten auch nicht zur Nutzung raten", so der Medizinrechtsanwalt. Es sei - so wie geplant - auf keinen Fall umsetzbar und die beiden geplanten Gesetze sollten daher so auch nicht beschlossen werden im Bundestag.
Hinweis: Die erste Lesung zum Digitalgesetz findet am 09. November und die Anhörung im Gesundheitsausschuss am 15. November statt: ots.de/EkEek4
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