Krankenhaussuche mit Risiken

Kritik am Bundes-Klinik-Atlas wächst

06.06.2024·Der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Mai vorgestellte Bundes-Klinik-Atlas sollte eigentlich Transparenz über Leistungen und Qualität von bundesweit knapp 1.700 Krankenhäusern schaffen. Diese Ziel werden jedoch aktuell auf eine für Patienten gefährliche Weise verfehlt, kritisieren die Ad-hoc-Kommission Versorgungsstrukturen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in einer Stellungnahme zum Atlas sowie die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) und Schleswig-Holsteins Gesundheits- und Justizministerin Prof. Kerstin von der Decken.

Die Ad-hoc-Kommission begrüßt grundsätzlich die Idee von Transparenz im Gesundheitswesen, verneint derzeit jedoch die Vertrauenswürdigkeit des aktuellen Bundes-Klinik-Atlas. Die vorläufigen Daten und deren mangelnde Qualitätsüberprüfung seien problematisch und könnten Patienten in ihren Entscheidungen fehlleiten. Besonders problematisch sei die unzureichende Trennung von Haupt- und Nebendiagnosen sowie die schlechte Verknüpfung von Diagnosen und Prozeduren. "Die aktuelle Umsetzung des Bundes-Klinik-Atlas scheint nicht geeignet, Patient*innen in Auswahlprozessen adäquat zu beraten. Im Gegenteil können Patient*innen fehlgeleitet werden. Auch Kliniken könnten Schaden nehmen", warnt die Kommission. Die Fachgesellschaften fordern daher eine deutliche Kennzeichnung der Plattform als "Beta-Version" und bieten dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ihre Unterstützung bei der Verbesserung des Atlasses an.

GMK-Vorsitzende: Fehler sind unverantwortlich

Auch Schleswig-Holsteins Gesundheits- und Justizministerin Prof. Kerstin von der Decken (CDU) äußerte scharfe Kritik und bezeichnete die teils gravierenden Fehler im Bundes-Klinik-Atlas als "unverantwortlich". Sie betonte, dass staatliches Informationshandeln dem Gebot von Richtigkeit unterliegt und forderte die sofortige Behebung der Fehler oder die Abschaltung der Plattform.

"Wenn im Notfall aufgrund falscher Angaben im Bundes-Klinik-Atlas Patientinnen und Patienten fehlgeleitet werden, besteht das Risiko, dass das Gegenteil eintritt. Die Gesundheit von Menschen darf nicht aufgrund falscher staatlicher Information gefährdet werden", so von der Decken. Sie kritisierte, dass die Aussage, der Atlas sei ein lernendes System und Kliniken könnten Fehler selbst melden, verantwortungslos gegenüber den Nutzern sei.

Beispiele von Rückmeldungen zu Fehlern oder irreführenden und damit potentiell patientengefährdende Ergebnissen seien dabei:

Veraltete Daten und schwer nachvollziehbare Darstellungen.
Kliniken sind nicht auffindbar oder werden mit falschen Angaben zu Notfallstufen, Bettenzahlen und Leistungsangeboten dargestellt.
Fehlerhafte Angaben zu Pflegekräften, die in irreführenden Grafiken resultieren.
Treffer, die im Notfall schwerwiegend sein könnten, da Kliniken mit den meisten Behandlungsfällen prioritär angezeigt werden, auch wenn sie weit entfernt sind.
Die Systematik des Klinik-Atlas in Bezug auf Krebserkrankungen entspricht nicht dem aktuellen Kenntnisstand, was falsche Ergebnisse erzeugen könnte.
Nicht nachvollziehbare Rückschlüsse auf die Qualität der Leistungserbringung aus Anzahl der Behandlungsfälle

Hintergrund: AWMF und ihre Rolle
Die 1962 gegründete AWMF, in der 183 wissenschaftlich arbeitende medizinische Fachgesellschaften organisiert sind, beschäftigt sich mit grundsätzlichen und fachübergreifenden Fragestellungen in der wissenschaftlichen Medizin. Sie fördert den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die ärztliche Praxis und vertritt die Interessen der wissenschaftlichen Medizin gegenüber politischen Gremien und der Öffentlichkeit.

Die AWMF wird getragen von der Delegierten-Konferenz, dem Präsidium und dem Präsidenten. Für die Bearbeitung besonderer Themen werden Kommissionen aus dem Kreise der Delegierten und gegebenenfalls durch Hinzuziehung Sachverständiger aus den Mitgliedsgesellschaften gebildet. Mehr Infos unter www.awmf.org

Anhaltender Streit zwischen Bund und Ländern

Der Bundes-Klinik-Atlas ist ein Produkt des Krankenhaustransparenzgesetzes, über das Bund und Länder monatelang gestritten haben. Gesundheitsministerin von der Decken hatte bereits im Gesetzgebungsverfahren darauf gedrängt, dass Informationen erst nach einer umfassenden Krankenhausreform und auf gesicherter Basis veröffentlicht werden sollten. Diese Hinweise wurden jedoch ignoriert. In einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach forderte sie, dass der Atlas entweder schnell korrigiert oder abgeschaltet werden müsse, um eine Fehlleitung der Patienten zu verhindern. Die Kritik aus Schleswig-Holstein wird auch von anderen Bundesländern geteilt.Krankenkassen bieten ähnliche Suchportale an

Bereits seit Jahren bieten die Krankenkassen vergleichbare Onlinesuchen zur Auswahl des passenden Krankenhauses an. Hierauf könnten Patienten zunächst ausweichen, bis der Bundes-Klinik-Atlas entsprechend überarbeitet bzw. ergänzt ist.


Kliniklotse der Ersatzkassen
www.vdek-kliniklotse.de/



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