GKV-Finanzentwicklung
Krankenkassen nach 1. Halbjahr 2024 mit über 2 Milliarden Euro im Minus
06.09.2024·Die 95 gesetzlichen Krankenkassen haben von Januar bis Juni 2024 ein Defizit von rund 2,2 Milliarden Euro verbucht. Dies hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) am Freitag (06.09.2024) in Berlin mitgeteilt. Nach dem Defizit von 776 Millionen Euro im 1. Quartal 2024 rutschen die Kassen damit um weitere gut 1,4 Milliarden Euro ins Minus.
Gesunken sind dagegen erneut die Finanzreserven der Krankenkassen. Sie betrugen Ende Juni noch rund 6,2 Milliarden Euro, was rund 0,23 Monatsausgaben entspricht. Das gesetzliche Mindestmaß für die Rücklage beträgt 0,2 Monatsausgaben. Seit Ende 2018 wurden die Rücklagen der Kassen damit insgesamt um rund 14,8 Milliarden Euro abgebaut.
Stand der GKV-Rücklagen
30.06.2024: 6,2 Milliarden
31.03.2024: 7,6 Milliarden Euro
31.12.2023: 8,4 Milliarden Euro
31.12.2022: 10,4 Milliarden Euro
31.12.2021: 11,0 Milliarden Euro
31.12.2020: 16,7 Milliarden Euro
31.12.2019: 19,8 Milliarden Euro
31.12.2018: 21 Milliarden Euro
Unterschiedliche Entwicklung nach Krankenkassenarten
Die Ersatzkassen (TK, Barmer, DAK, KKH, hkk, HEK) erzielten ein Defizit von 859 Millionen Euro, die Ortskrankenkassen (AOK) von 721 Millionen Euro, die Betriebskrankenkassen (BKK) von 366 Millionen Euro, die Innungskrankenkasse (IKK, BIG) von 161 Millionen Euro und die Knappschaft von 43 Millionen Euro. Die nicht am Risikostrukturausgleich teilnehmende Landwirtschaftliche Krankenkasse verbuchte ein Defizit von 8 Millionen Euro.
Der Gesundheitsfonds verzeichnete im 1. Halbjahr 2024 ein Defizit von 6,3 Milliarden Euro. Ein Teil des Defizits ist laut BMG saisonüblich: Während die Ausgaben des Gesundheitsfonds als monatliche Zuweisungen in konstanter Höhe an die Krankenkassen fließen, schwanken die Einnahmen unterjährig, z. B. im Rahmen der Verbeitragung von Urlaubs- und Weihnachtsgeldern, teils erheblich. Die Beitragseinnahmen (ohne Zusatzbeiträge) stiegen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,5 Prozent. Verantwortlich hierfür seien insbesondere die inflationsbedingt kräftigen Tariflohnsteigerungen.
Entwicklungen bei den Ausgaben
Die Krankenkassen verzeichneten im 1. Halbjahr 2024 einen sehr dynamischen Zuwachs für Leistungsausgaben und Verwaltungskosten von 7,3 Prozent. Die Leistungsausgaben stiegen dabei um 7,6 Prozent und damit deutlich stärker als in den letzten Jahren. Die Verwaltungskosten verminderten sich um 1,2 Prozent. In absoluten Zahlen stiegen die Leistungsausgaben der Krankenkassen im 1. Halbjahr um 10,9 Milliarden Euro. Die Verwaltungskosten sanken um 75 Millionen Euro, da rund 280 Millionen Euro weniger Altersrückstellungen als im Vorjahresquartal gebucht wurden. Der Anstieg der Verwaltungskosten ohne Altersrückstellungen betrug im 1. Halbjahr 3,5 Prozent.
Die Ausgaben für Krankenhausbehandlungen sind in den ersten sechs Monaten um 7,9 Prozent bzw. 3,6 Milliarden Euro gestiegen und stellen damit einen maßgeblichen Treiber der hohen Ausgabendynamik dar. Neben sehr dynamischen Preiskomponenten (Orientierungswert, Grundlohnrate) und steigenden Fallzahlen sind insbesondere die Pflegepersonalkosten im 1. Halbjahr mit rund 10,9 Prozent bzw. 1,05 Milliarden Euro erneut stark gestiegen. Im ersten Halbjahr sind rund 181 Mio. Euro an Aufwendungen für Behandlungen im Rahmen der im Dezember 2023 eingeführten Abrechnungsziffern der speziellen sektorengleichen Vergütung beziehungsweise Hybrid-DRGs verbucht worden.
Die Aufwendungen für die Versorgung mit Arzneimitteln stiegen im 1. Halbjahr um 10,0 Prozent bzw. 2,5 Milliarden Euro und damit noch etwas stärker als im ersten Quartal (9,1 Prozent bzw. 1,12 Milliarden Euro). Die hohe Steigerung sei laut BMG in besonderem Maße vom Auslaufen des in 2023 einmalig erhöhten gesetzlichen Herstellerabschlags von 7 auf 12 Prozent durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geprägt. Im 1. Halbjahr 2024 sanken die zugunsten der GKV gewährten Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer um rund 547 Millionen Euro. Doch auch ohne Berücksichtigung dieser Rabatte wuchsen die Ausgaben kräftig um 7,3 Prozent bzw. 1,94 Milliarden Euro. Deutlich stiegen auch die Aufwendungen für Arzneimittel im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung, die einen Zuwachs von rund 347 Millionen Euro (entspricht +49,6 Prozent) gegenüber dem Wert des Vorjahreshalbjahres aufweisen.
Die Ausgaben für ambulant-ärztliche Behandlungen sind im 1. Halbjahr um 5,3 Prozent bzw. 1,3 Milliarden Euro gestiegen. Die Aufwendungen für extrabudgetäre psychotherapeutische Leistungen weisen überdurchschnittliche Aufwüchse auf (+6,8 Prozent bzw. +116 Millionen Euro). Auch die Aufwendungen für ambulante Operationen gemäß AOP-Katalog sind mit einem Wachstum von rund 9,2 Prozent bzw. 106 Millionen Euro dynamischer als der Gesamtbereich gewachsen. Für die Abrechnung der sog. Hybrid-DRGs durch die niedergelassenen Ärzte buchten die Krankenkassen rund 35 Millionen Euro.
Die Aufwendungen für zahnärztliche Behandlungen (ohne Zahnersatz) stiegen um 3,7 Prozent bzw. 255 Millionen Euro und damit weniger stark als in den Rechnungsergebnissen des ersten Quartals (5,3 Prozent bzw. 180 Millionen Euro). Die Ausgaben für den Teilbereich der Parodontalbehandlungen stiegen aufgrund von Leistungsverbesserungen überdurchschnittlich stark um rund 10,3 Prozent bzw. 73 Millionen Euro. Die weitere Entwicklung bleibt auch im Hinblick auf die mit dem GKV-FinStG geregelte Begrenzung des Anstiegs der Gesamtvergütung noch abzuwarten.
Stark gestiegen sind die Ausgaben im Bereich der Behandlungspflege und der häuslichen Krankenpflege (+12,4 Prozent bzw. +569 Millionen Euro) sowie bei Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen (+11,1 Prozent bzw. +231 Millionen Euro). Letztere wiesen nach den pandemiebedingten Einbrüchen der vergangenen Jahre schon seit 2022 eine überdurchschnittliche Dynamik auf.
Bei der Interpretation der Daten des 1. Halbjahres ist laut BMG zu berücksichtigen, dass die Ausgaben in vielen Leistungsbereichen, insbesondere bei Ärzten und Zahnärzten, noch von Schätzungen geprägt seien, da Abrechnungsdaten noch nicht oder nur teilweise vorlägen.
Weitere Entwicklung
Der GKV-Schätzerkreis (vgl. "Links zum Thema") wird die Versichertenentwicklung, die Ausgaben und die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für das laufende und das kommende Jahr Mitte Oktober prognostizieren. Das BMG wird daraufhin bis zum 1. November unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Schätzerkreises den durchschnittlichen ausgabendeckenden Zusatzbeitragssatz für das Jahr 2025 bekannt geben. Kassenverbände gehen davon aus, dass ein zusätzlicher Finanzbedarf von mindestens 0,6 Beitragssatzpunkten besteht (vgl. "Links zum Thema", Beitrag "... Lauterbach nimmt ´drastische´ Beitragssteigerungen tatenlos hin"). Ende November 2024 werden dann die GKV-Finanzergebnisse für das 1.-3. Quartal 2024 vorliegen.
- Kassen kritisieren Gesundheitsminister / Vorwurf: Lauterbach nimmt "drastische" Beitragssteigerungen tatenlos hin
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- AOK-Bundesverband zu steigenden Beitragssätzen: "Teuerster Gesundheitsminister aller Zeiten"
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- Bundeshaushalt 2025 / Weniger Geld für Gesundheit und Pflege
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- GKV-Finanzentwicklung / Kassen nach 1. Quartal 2024 tief in den roten Zahlen
- GKV-Schätzerkreis: Hintergrund, Zusammensetzung und Aufgaben
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