Arzneimittelpolitik
Pharma- und Kassenverbände: Lauterbachs Gesetze verfehlen Wirkung
06.09.2023·Mit mehreren Gesetzen versucht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seit Mitte 2022 die Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel zu begrenzen und gleichzeitig Lieferengpässe, insbesondere bei Kinderarzneimitteln, zu verhindern. Die erhoffte Wirkung der Regelungen bleibe jedoch aus, heißt es bei Kassen- und Pharmaverbänden. Einige Regelungen seien sogar kontraproduktiv und verschärften die Situation ungewollt weiter.
Pharmaverband: GKV-FinStG wirkt negativ auf Versorgung
In einer aktuellen Zwischenbilanz zu den gesetzlichen Maßnahmen (vgl. "Links zum Thema") macht der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) deutlich, dass das Gesetz die Arzneimittelversorgung in Deutschland verschlechtere. "Das Kernproblem: Die neuen Zwangsabschläge des GKV-FinStG summieren sich auf, ohne dass die Politik die wirtschaftlichen Konsequenzen bedenkt. Kumulationseffekte der Einsparmaßnahmen wurden nicht geprüft. Das ganze Vorhaben, insbesondere der Kombinationsabschlag, ist ein Bürokratiemonster", so Dr. Kai Joachimsen, BPI-Hauptgeschäftsführer am 04.09.2023 in Berlin.
Kritisch bewertet der BPI auch die negativen Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit mit innovativen Arzneimitteln - insbesondere für Patienten mit seltenen Erkrankungen. "Das Absenken der Umsatzschwelle bei Arzneimitteln zur Behandlung Seltener Leiden (Orphan Drugs) könnte die Verfügbarkeit der Therapien weiter gefährden. Patienten würden dadurch deutlich schlechter versorgt", so Joachimsen.
Preisbildung erfolge ohne Interessensausgleich
Kritisiert wird vom BPI auch die Reform der Preisbildung von neuen Arzneimitteln. Die beschlossenen AMNOG-Änderungen basierten nicht mehr auf dem "Grundverständnis eines fairen Interessensausgleichs zwischen dem GKV-Spitzenverband und den pharmazeutischen Unternehmen". Vielmehr habe sich das Verfahren zu einem "GKV-dominierten Preissetzungsverfahren" gewandelt. Hinzu käme, dass pharmazeutische Unternehmen angesichts extrem hoher Energiekosten, Erzeugerpreise und fragiler Lieferketten am Limit seien. Solange das BMG dabei nicht anerkenne, dass es Obergrenzen der Belastungen gibt, würden Hersteller zunehmend in die Lage geraten, Produkte in Deutschland nicht mehr vermarkten zu können, sagte Joachimsen.
GKV-FinStG unterlaufe eigene Ziele der Regierung
Der BPI geht davon aus, dass das GKV-FinStG die Verfügbarkeit von Bestandstherapien sowie innovativen Therapien beeinträchtigen wird. "In der Summe aller Maßnahmen steht das Gesetz im Widerspruch zu den Zielen der Bundesregierung. Eine ursprünglich im Koalitionsvertrag proklamierte Förderung des Forschungs- und Produktionsstandorts Deutschland/Europa vermissen wir. Insgesamt wirken die Maßnahmen eher industrie- und standortfeindlich, da sie zu erheblicher Planungsunsicherheit auf Seiten pharmazeutischer Unternehmen führen." Dies, so Joachimsen, sei "Gift für Investitionsentscheidungen".
AOK: Gesetz gegen Lieferengpässe hält nicht, was es verspricht
Kritik am Maßnahmenpaket Lauterbachs und insbesondere am "Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz" (ALBVVG) kommt auch von den Krankenkassen. Das in großen Teilen am 27.07.2023 in Kraft getretene Gesetz verspreche mehr, als es halten könne. "Die Erwartung, die mit dem Namen des Gesetzes geweckt wird, nämlich Lieferengpässe nachhaltig zu bekämpfen, wird nicht erfüllt", so Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. "Denn der Gesetzgeber hat ungeeignete Instrumente genutzt, die das Problem nicht an der Wurzel packen, aber große wirtschaftliche Mehrausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erzeugen. Die Freistellung ganzer Arzneimittelgruppen von Rabattverträgen und Festbeträgen oder die Anhebung von Preisobergrenzen um bis zu 50 Prozent sind nicht geeignet, die Versorgung mit Arzneimitteln sicherer zu machen. Das zeigt das Beispiel Fiebersäfte für Kinder. Obwohl die Festbeträge weiterhin bis zum Ende des Jahres ausgesetzt wurden, bedeutet das eben nicht, dass damit in jeder Apotheke des Landes Fiebersäfte verfügbar sind. (...) Ob Fiebersäfte, Krebsmedikamente, Antibiotika oder Psychopharmaka: Lieferengpässe sind ein andauerndes und globales Problem, das nicht einzig und allein über den Preis zu lösen ist."
Pro Generika : BMG geht in "Notstandsmodus"
Ein Eingeständnis, das die Maßnahmen des ALBVVG nicht ausreichen, sieht Pro Generika in der jüngsten "Dringlichkeitsliste für Kinderarzneimittel". Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat die Liste in Abstimmung mit dem BMG erstellt. Sie beinhaltet Präparate, die in der kommenden Infektionssaison knapp werden können. Diese Medikamente können im Falle eines Versorgungsmangels aus dem Ausland importiert und mit fremdsprachigen Verpackungen und Beipackzetteln bei uns in Verkehr gebracht werden. "Das ist das Eingeständnis: Das Engpass-Gesetz ALBVVG reicht nicht. Das BMG schaltet in den Notstandsmodus und erkennt damit an, dass alle bisher ergriffenen Maßnahmen wirkungslos sind", so Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika.
Die Preiserhöhung und der Wegfall von Rabattverträgen bei Kinderarzneimitteln sei zwar ein wichtiger erster Schritt, allerdings werde hierdurch gerade mal eine kostendeckende Produktion ermöglicht. Es setze keinerlei Anreize, damit wieder mehr Unternehmen auch Kinderarzneimittel produzierten. Nur dies mache aber die Versorgung sicherer. BMG und Ampelfraktionen müssten endlich Lösungen finden, die nachhaltiger wirken, als mit "hektisch gefällten Entscheidungen anderen Ländern die Medikamente wegzukaufen". Das, so der Pro Generika-Chef, sei erneut Krisenmodus - und keine Strategie zur Verbesserung der Lage.
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- Download: BPI-Stellungnahme / Zwischenbilanz (PDF, 868 KB)
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