Medizinischer Dienst Bund|03.12.2024

PRESSEMITTEILUNG

IGeL-Report 2024: 2,4 Milliarden Euro setzen Arztpraxen pro Jahr mit fragwürdigen IGeL um

Berlin/Essen (kkdp)·Der IGeL-Monitor hat zum 5. Mal gesetzlich Versicherte zu Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), zu den Kosten und zum Umgang mit IGeL in den ärztlichen Praxen befragt. Ergebnis: Patientinnen und Patienten werden in großem Umfang mit IGeL-Angeboten konfrontiert - dabei gibt es viele Probleme. Versicherte geben aus Unwissenheit viel Geld für Leistungen aus, die wenig nützen und teilweise auch schaden können. In den Praxen wird unzureichend über IGeL aufgeklärt.

Für den IGeL-Report 2024 wurden im Auftrag des Medizinischen Dienstes Bund 2.013 Versicherte im Alter zwischen 18 und 80 Jahren vom Marktforschungsinstitut forsa befragt. Die bevölkerungsrepräsentative Befragung hat Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Lehrstuhl für Management im Gesundheitswesen, Universität Hamburg, wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. "Unsere Studie belegt, dass gesetzlich Versicherte mindestens 2,4 Milliarden Euro für IGeL-Angebote ausgeben", sagt Schreyögg. "Besorgniserregend ist, dass die meisten Patientinnen und Patienten viel zu wenig Wissen haben, um eine informierte Entscheidung für oder gegen eine IGeL treffen zu können." In der Befragung gab nur jeder 4. Versicherte (26%) an, gut informiert zu sein. 2 von 3 Befragten gingen zudem von der falschen Annahme aus, dass die Selbstzahlerleistungen medizinisch notwendige Leistungen seien.

"Die Ergebnisse des IGeL-Reports 2024 zeigen, dass IGeL kein Randproblem sind, sondern ein Massenphänomen. Der bedrückende Befund ist, dass Patientinnen und Patienten aus Unwissenheit und Sorge um ihre Gesundheit große Summen für fragwürdige und sogar schädliche Leistungen ausgeben", sagt Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender Medizinischer Dienst Bund. "Nicht akzeptabel ist die unzureichende Aufklärung über mögliche Schäden der angebotenen IGeL. Die Arztpraxen sollten verpflichtet werden, unabhängige und allgemeinverständliche schriftliche Informationen in der Praxis auszulegen, wenn sie solche Leistungen anbieten."

IGeL, die mehr schaden als nützen, gehören zu den Topsellern

Der IGeL-Report 2024 belegt, dass in den ärztlichen Praxen in großem Umfang Leistungen verkauft werden, deren möglicher Schaden den Nutzen deutlich überwiegt: Auf Platz 1 der Top-10-Liste liegen der Ultraschall der Eierstöcke und der Gebärmutter zur Krebsfrüherkennung. Patientinnen geben dafür pro Jahr 143 Millionen Euro aus. Beides sind Leistungen, die vom IGeL Monitor mit "negativ" und "tendenziell negativ" bewertet werden. Bei diesen Untersuchungen kann es zu vielen falsch-positiven Ergebnissen und dadurch zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Eingriffen kommen, die den Patientinnen schaden können. Gleichzeitig ist nicht belegt, dass das Risiko an Eierstockkrebs zu sterben, damit verringert werden kann. Daher raten auch Fachgesellschaften seit Jahren davon ab, diese Leistungen anzubieten. Ähnlich negativ sieht die Bilanz weiterer Leistungen auf der Top-10-Liste der angebotenen IGeL aus.

Breites Spektrum und breite Preisspanne bei IGeL-Angeboten

Der IGeL-Report 2024 zeigt, dass mit jeweils 500 Millionen Euro die höchsten Umsätze in den Fachgebieten Gynäkologie und Augenheilkunde erzielt werden. Aber auch in den Fachgebieten Allgemeinmedizin (341 Millionen Euro) sowie Orthopädie und Unfallmedizin (397 Millionen Euro) werden hohe Summen umgesetzt.

Während die häufig verkaufte Vitamin-D-Bestimmung rund 30 Euro kostet, werden bei komplexen Augenoperationen mehrere 1.000 Euro fällig. In der Liste der umsatzstärksten IGeL findet man einerseits Leistungen, die zu relativ geringen Preisen sehr häufig verkauft werden wie zum Beispiel der bereits genannte Ultraschall der Gebärmutter und Eierstöcke (Gesamtumsatz von 143 Millionen Euro). Andererseits findet man Leistungen, die sehr teuer sind, aber aufgrund einer kleineren Zielgruppe seltener verkauft werden wie zum Beispiel Laser-Operationen am Auge.


Region, Geschlecht und Einkommen haben Einfluss auf Inanspruchnahme von IGeL

Bei der Inanspruchnahme von IGeL ergeben sich teils deutliche sozioökonomische Unterschiede. In den südlichen Bundesländern (37%) werden IGeL häufiger in Anspruch genommen als in westlichen (33%), nördlichen (31%) oder östlichen (26%). Maßgeblich dafür scheinen geografisch-kulturell geprägte Präferenzen zu sein. Ein Stadt-Land-Gefälle ist nicht feststellbar.

Frauen (41%) nutzen etwa doppelt so häufig IGeL wie Männer (22%). Die Inanspruchnahme von IGeL steigt mit zunehmendem Alter: Ab einem Alter von 45 Jahren nutzen jede zweite Frau (50%) und etwa jeder dritte Mann (29%) Selbstzahlerleistungen. Bis zu einem Alter von 80 Jahren bleibt dies in beiden Gruppen relativ konstant.

Bei beiden Geschlechtern zählen die meisten der in Anspruch genommenen IGeL zum Bereich der Früherkennungsuntersuchungen. Frauen nennen am häufigsten den transvaginalen Ultraschall und Männer die PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs. Die Befragungsergebnisse zeigen auch: Wer sich mehr leisten kann, bekommt IGeL häufiger angeboten und gibt dafür auch mehr Geld aus.

Die Gesamtbilanz der IGeL überzeugt nicht - die Evidenz ist meistens dünn

Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors bewertet seit über zehn Jahren evidenzbasiert den Nutzen und Schaden von Individuellen Gesundheitsleistungen und bereitet die Informationen für die Versicherten laienverständlich auf. Ziel ist es, den Patientinnen und Patienten eine wissenschaftsbasierte Entscheidungshilfe für oder gegen den Kauf einer IGeL anzubieten. Der IGeL-Monitor hat aktuell 56 IGeL bewertet - davon 30 Leistungen entweder mit "tendenziell negativ" oder "negativ". 23 IGeL haben das Ergebnis "unklar" - das heißt für ihren Nutzen gibt es meistens keine ausreichende Evidenz. Mit "tendenziell positiv" schneiden lediglich 3 Selbstzahlerleistungen ab; keine Leistung konnte mit "positiv" bewertet werden.

Bewertungen stehen im Einklang mit medizinischen Leitlinien

Das Wissenschaftsteam des IGeL-Monitors wertet bei der Analyse des Nutzen- und Schadenpotenzials nicht nur wissenschaftliche Studien aus, sondern gleicht die Ergebnisse auch mit internationalen Leitlinien ab. Leitlinien sind evidenzbasierte Empfehlungen zu medizinischen Maßnahmen, die von den Fachgesellschaften konsentiert werden und die Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten bei der Entscheidungsfindung unterstützen sollen. Der IGeL-Monitor hat seine Bewertungen der am meisten verkauften IGeL aktuell mit den Empfehlungen in den Leitlinien abgeglichen und festgestellt: Sie stehen damit im Einklang.

Hintergrund

Der IGeL-Monitor ist ein Informationsportal für Patientinnen und Patienten, das der Medizinische Dienst Bund 2012 initiiert hat und seitdem betreibt. Unter www.igel-monitor.de erhalten Versicherte evidenzbasierte Bewertungen zu IGeL in der ärztlichen Praxis sowie viele weitere Informationen rund um das Thema. Für die Bewertung des möglichen Schadens und Nutzens einer IGeL recherchiert das Wissenschaftsteam in medizinischen Datenbanken und wertet diese systematisch aus. Versicherte erfahren im IGeL-Monitor auch, welche Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen bei Symptomen übernommen werden.

Pressekontakt:

Medizinischer Dienst Bund
Michaela Gehms, Pressesprecherin
Tel.: 0201 8327-115
Mobil: +49 (172) 3678007
m.gehms@md-bund.de

IGeL-Monitor
Andreas Lange, Freier Journalist
Redakteur IGeL-Monitor
Mobil: +49 (171) 5329814
presse@igel-monitor.de


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