Vorstoß der Grünen

Sozialversicherungsbeiträge auf Kapitalerträge verraten weitere Absicht

15.01.2025·Robert Habeck, Kanzlerkandidat der B90/Die Grünen, möchte Kapitalerträge zur Verbeitragung innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung heranziehen. Manifestiert ist der Vorschlag im Wahlprogramm der Partei für die anstehende Bundestagswahl im Februar 2025. Doch was steckt hinter dem Vorschlag des aktuellen Wirtschaftsministers und Vizekanzlers? Einen spürbaren Effekt hätte der Vorstoß nur mit weiteren Maßnahmen, die aktuell noch nicht Teil der Debatte sind, im Wahlprogramm der Grünen aber angedeutet werden.

Habeck hatte in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" kritisiert, dass Kapitalerträge bislang von Sozialversicherungsbeiträgen freigestellt sind. Ihm leuchte nicht ein, dass Arbeit höher belastet werde als Einkommen aus Kapitalanlagen. Deshalb wolle er auch Kapitalerträge "sozialversicherungspflichtig machen". Der Grünen-Kanzlerkandidat antwortete damit auf die Frage, wie er den steigenden Krankenkassenbeiträgen (vgl. "Links zum Thema") begegnen wolle. Zuvor hatte Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenasse (TK), in der "Süddeutschen Zeitung" davor gewarnt, dass die Kassenbeiträge ohne politisches Eingreifen in den kommenden fünf Jahren auf rund 20 Prozent steigen würden. Zum Jahreswechsel ist der Beitragssatz von bundesdurchschnittlich 16,43 auf 17,5 Prozent gestiegen.

Habeck ignoriert bestehenden Reformbedarf

Das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen ist im 3. Quartal 2024 auf 3,7 Milliarden Euro gestiegen. Für das Gesamtjahr 2024 wird ein Minus von etwa 5,5 Milliarden Euro erwartet. Ursächlich hierfür sind insbesondere die stark gestiegenen Ausgaben für stationäre Behandlungen und Arzneimittel. Mangels Rücklagen der Krankenkassen schlagen diese Kosten nun ungebremst auf die Beitragssätze durch. Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte die Kassen seinerzeit dazu verpflichtet, ihre Rücklagen von mehr als 20 Milliarden Euro (Stand: 2018) auf die gesetzliche Mindestreserve (0,2 Monatsausgaben) abzubauen. Damit sollten teure Reformen des Ministers finanziert werden, ohne dass die Beitragssätze spürbar steigen.

Solange die Schere zwischen Einnahmeentwicklung (zuletzt: +5,6 Prozent) und Kostenanstieg (zuletzt: +7,8 Prozent) weiter auseinander geht, werden die Beitragssätze der Kassen steigen müssen. Wenn die Lohnnebenkosten jedoch nicht immer weiter steigen und den Wirtschaftsstandort Deutschland zunehmend unattraktiv machen sollen, müssen die Ausgaben reduziert werden. Über strukturelle Reformen muss die Versorgung effizienter gestaltet und ggf. konkretisiert werden. Auch die Digitalisierung kann Effiezienzreserven erschließen. Die reine Verbreiterung der Einnahmebasis ändert am bisherigen System nichts.

Dies kritisiert auch TK-Chef Baas: "In der aktuellen Schieflage bei der Finanzierung von Gesundheit führen einfache Lösungen nicht ans Ziel", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstagausgaben). Es helfe langfristig nicht weiter, wenn einfach immer mehr Geld in ein System gesteckt würde, welches nicht zielgenau und effizient sei. Baas: "Angesichts der stark steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen müssen die Finanzen zunächst kurzfristig stabilisiert werden." Die Versicherten müssten dabei "dringend finanziell entlastet werden". An grundlegenden Reformen führe kein Weg vorbei.

Höhere Beiträge für Entgelte bis 5.500 Euro

Würde der Vorschalg von Habeck umgesetzt, so müssten gesetzlich versicherte Mitglieder neben den Beiträgen aus ihrem Arbeitseinkommen zusätzlich Beiträge aus Kapitalerträgen zahlen. Die Obergrenze der beitragspflichtigen Einnahmen liegt derzeit bei 5.512,50 Euro pro Monat. Belastet würden also hauptsächlich Arbeitnehmer mit Arbeitsentgelten unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) von 5.512,50 Euro mit Einnahmen aus Kapitalvermögen.

© B90/DIE GRüNEN
Kanzlerkandidat Robert Habeck für SV-Beiträge aus Kapitalerträgen
Um eine Belastung der mittleren Einkommen zu vermeiden sollen jedoch Freibeträge gelten. Konkrete Grenzen nennt Habeck aber nicht. Aktuell gilt im sozialversicherungsrechtlich nahen Steuerrecht ein jährlicher Freibetrag von 1.000 Euro pro Person für Kapitalerträge. Bei der dann verbleibenden Differenz bis zur Bemessungsgrenze stellt sich die Frage, ob die Prüfung der Einnahmen durch die Krankenkassen wirtschaftlich und nicht teurer als die möglichen Mehrbeiträge hieraus sind. Im Unterschied zur Verbeitragung des jeweils aktuellen Arbeitsentgelts aus einer Beschäftigung sind Kapitalerträge regelmäßig erst bei ihrer Realisierung und damit vergangenheitsbezogen ermittel-, melde- und prüfbar. Im Zweifel ist dann schon eine andere Krankenkasse zuständig. Zu regeln wäre auch der Umgang mit negativen Einkünften aus Kapitalvermögen (Aktienverluste). Im Steuerrecht können diese noch im Folgejahr verrechnet werden. Auch Detailfragen würden kompliziert, z. B. die nachträgliche Berücksichtigung von beitragspflichtigen Kapitalerträgen beim Krankengeld oder die Berücksichtigung bei beitragsfreien Zeiten. Eine möglicherweise anteilige Ermittlung der Kapitalerträge ist durch Kassen wahrscheinlich nicht leistbar.

Anders sieht es schon heute bei freiwilligen Mitgliedern der Krankenkassen aus, wenn diese selbstständig sind. Bei Ihnen zählt das Gesamteinkommen als Basis für die Beitragsbemessung. Hierbei ist die "gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds" zu berücksichtigen, also auch bereits Einkünfte aus Kapitalvermögen. Das auch heute schon vergangenheitsbezogene Verfahren zur Beitragsermittlung würde sich durch Habecks Vorschlag nicht ändern müssen, die Einnahmen würden jedoch auch nicht gesteigert.

Bürgerversicherung und Abschaffung der BBG

Damit die von Habeck genannten Kapitalerträge oberhalb geplanter Freibeträge zur Finanzierung der GKV mit herangezogen werden können, wäre also die Abschaffung oder zumindest starke Anhebung der aktuellen BBG notwendig. Im Wahlprogramm der Grünen für 2025 heißt es dazu, dass eine Bürgerversicherung für alle Versicherten (auch unter Beteiligung der PKV) geschaffen werden soll, in der Versicherte mit finanziell starken Schultern stärker zur Finanzierung herangezogen werden sollen. Die Beitragsbemessung werde reformiert und auch Kapitalerträge mit herangezogen. Eine Vorstellung, die sich die Grünen mit den Linken teilen.

In der Konsequenz zahlen Arbeitnehmer mit hohen Einkommen ohne BBG deutlich mehr Beiträge. Kapitalerträge müssten sie nach Abzug eines Freibetrages zusätzlich und ohne Limit verbeitragen. Selbständige mit Kapitalerträgen in gleicher Höhe würden sich dagegen wahrscheinlich in der PKV versichern und damit keine einkommensbezogenen Beiträge/Prämien zahlen. Deutlich wird hieran, dass die Verbeitragung von Kapitalerträgen nur dann Sinn macht, wenn gleichzeitig die BBG fällt und eine verpflichtende Bürgerversicherung für alle Versicherten gilt.

Im Vordergrund stünden dabei jedoch keinerlei strukturelle Reformen zur Effizienzsteigerung der GKV, sondern ausschließlich die Verbreiterung der Einnahmebasis. Auch in einer Bürgerversicherung würde sich das bisherige System nicht automatisch ändern - es gälte nur für mehr Versicherte. Völlig aus dem Blick geraten wäre damit auch eine gestärkte Selbstverwaltung der Kassen, um die Interessen der Beitragszahler zu schützen.

Vermögensabgabe als sinvolle Alternative

Möchte man das von Habeck benannte Ziel erreichen und die Erträge "hoher Kapitalvermögen" zur Finanzierung der Sozialversicherung heranziehen, sollte dies schon aus Gründen der Effizienz über die Steuerverwaltung erfolgen. Über eine Vermögensabgabe könnten gezielt die höheren Einkommen belastet werden. Die zusätzlich eingenommenen Steuern müssten dann den Bundeszuschuss zur GKV aufstocken und damit Arbeitnehmer und Arbeitgeber über niedrigere Beitragssätze entlasten.

Gerecht wäre dies auch vor dem Hintergrund, dass der Staat der GKV regelmäßig einen hohen Milliardenbetrag entzieht, um versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren (vgl. "Links zum Thema"). Diese gesamtgesellschaftlichen Aufgaben werden aktuell überwiegend aus Beiträgen der GKV bezahlt. Privatversicherte werden hieran also nicht entsprechend beteiligt.


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