Die Wahlprogramme der Parteien CDU/CSU, SPD, B90/Die Grünen, FDP, AfD, Die Linke und BSW unterscheiden sich deutlich in der Gewichtung, im Detailgrad sowie in der Ausführung und Begründung einzelner Positionen zur Gesundheitspolitik. Dennoch ergibt sich aus der Summe der Einzelpositionen je Partei ein abgrenzbares Gesamtbild zur Meinungsbildung:
UNION aus CDU/CSUDownload des Wahlprogramms "Politikwechsel für Deutschland"
PDF, 1.8 MB
Themen Gesundheit & Pflege ab Seite 67
Demografie, Fachkräftemangel und steigende Kosten erfordern laut CDU/CSU strukturelle Anpassungen. Dabei sollen die Grundpfeiler des Gesundheitssystems mit seiner Selbstverwaltung, Dualität von GKV und PKV und einem Bekenntnis zum Grundsatz der Freiberuflichkeit und solidarischen Beitragsfinanzierung beibehalten werden. Zum Thema Pflege setzt die Union auf einen gesellschaftlichen Dialog. Sie dürfe nicht zu einem Armutsrisiko werden. Die Sterbehilfe lehnt die Union ab.
Aus dem Programm der Union:Schwerpunkt GKVKorrektur der begonnenen Krankenhausreform: Stationäre Versorgung mit einer flächendeckenden Grundversorgung insbesondere im ländlichen Raum unter Planungshoheit der Länder
Konzentration von spezialisierten Leistungen zusammen mit der ambulanten haus- und fachärztlichen Versorgung
Stärkung der nichtärztlichen Gesundheitsberufe mit mehr Verantwortung für die Versorgung
Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes - eng verzahnt mit der medizinischen Versorgung und dem Katastrophenschutz unter Beteiligung der Kommunen
GKV-Finanzierung: Außer "mehr Effizienz beim Einsatz von Beitragsgeldern" und Stärkung des Kassenwettbewerbs keine Aussagen
Stärkere Steuerungsfunktion der Haus- und Kinderarztpraxen
Allgemeiner Bürokratieabbau, bestmögliche Versorgung von Familien - auch auf dem Land
Bedarfsgerechte Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgungsangebote für psychische Erkrankungen
Stärkung der geschlechtsspezifischen Medizin
Ausbau der Prävention in allen Lebensbereichen
Vereinfachung der Anträge und Verzahnung der medizinischen und beruflichen Rehabilitation
Apothekenreform soll Präsenzapotheken stärken
Ausbau der Pharma- und Gesundheitswirtschaft zur echten Leitökonomie - Standort Deutschland z. B. durch schnellere Zulassungsverfahren stärken
Arzneimittelengpässe vermeiden: Lieferketten sichern, Verbesserung und Entwicklung von Reserveantibiotika, Impfstoffen, Kinderarzneimittel und Krebstherapien
Digitalisierung: Potenziale von ePA, DiGAs und KI-Einsatz ausschöpfen
Schwerpunkt PflegeFinanzierung: Beibehalt des Mixes aus gesetzlichen Beiträgen, Steuermitteln und privater Vorsorge. Zur Gewichtung macht die Union keine Angaben. Nicht näher definierte Anpassung der Finanzierung an die demografische Entwicklung.
Stärkere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf für pflegende Angehörige, Einführung eines Pflegebudgets (flexibler Einsatz für pflegerische Leistungen).
Maßnahmen zur Vermeidung stationärer Pflege (Netzwerke im direkten Umfeld, Digitalisierung)
Mehr Prävention und Reha zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit
Personalnotstand entgegenwirken: Attraktive Arbeitsbedingungen (planbare Einsatzzeiten und Springerpools), Aufstiegsmöglichkeiten, neue Berufsbilder und Anwerbungen im Ausland.
Unterstützung multiprofessioneller Teams und von Fachkräften unterschiedlicher Qualifikationsstufen.
Stärkung der Rolle von Pflegefachpersonen in der gesundheitlichen Versorgung
Vereinfachung von Dokumentationsprozessen
Abbau von Sektorengrenzen durch neue Wohn- und Betreuungsformen, in denen Pflege- und Betreuungskräfte sowie Angehörige die Versorgung gemeinsam übernehmen
Verzahnung von Medizinischem Dienst und Heimaufsicht, ggf. Zusammenlegung
Bürokratieabbau durch Öffnungsklauseln und Erprobungsmöglichkeiten für flexible Lösungen
Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung
Ablehnung der aktiven Sterbehilfe; Beschluss eines Suizidpräventionsgesetzes zum wirksamen Lebensschutz
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)Download des Wahlprogramms "Mehr für Dich. besser für Deutschland."
PDF, 792 KB
Themen Gesundheit & Pflege ab Seite 28
Kernstück der sozialdemokratischen Gesundheitpolitik ist die Einführung einer Bürgerversicherung. Im Vordergrund steht damit für die SPD ein einheitliches und verpflichtendes Versicherungssystem für alle Versicherten. Beamte wie Politiker sollen jedoch von der Verpflichtung ausgenommen sein. Sie sollen ein Wahlrecht mit pauschaler Beihilfe erhalten. Wann und inwieweit die Eingliederung von privat Vollversicherten erfolgen soll, wird im Programm nicht ausgeführt. Für die Pflege stellt die SPD eine Begrenzung der Eigenanteile in Aussicht. Hierzu sollen mehr Steuermittel eingesetzt werden. Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung soll beendet werden.
Aus dem Programm der SPD:Schwerpunkt GKVSchaffung einer solidarischen Bürgerversicherung für alle Versicherten, auch unter Einbezug der PKV
Beseitigung von Unterschieden bei Wartezeiten und Behanldungsmöglichkeiten zwischen GKV und PKV
Ablehnung von Leistungsverschlechterungen / keine Leistungskürzungen
Einbezug der PKV in den Risikostrukturausgleich (RSA)
Beibehalt des beitragsfinanzierten Umlagesystems, Beiträge sollen sich aber stärker an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitglieder orientieren
Einheitliches Vergütungssystem, das auch Vorhaltekosten der Leistungserbringer absichert
Versicherungsfremde Aufgaben sollen ausreichend aus Steuermitteln finanziert werden (Anm. d. Redaktion: Insbesondere unter SPD-Minister Lauterbach haben die versicherungsfremden Leistungen besonders stark zugenommen, ohne dass diese aus Steuermitteln gegenfinanziert wurden; vgl. "Links zum Thema").
Festhalten an der Krankenhausreform sowie an der Entbudgetierung bei Hausärzten
Erleichterung der Gründung von kommunalen MVZ, Sicherung der Versorgung in strukturschwachen Regionen
Stärkung der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes
Verbesserung des Einsatzes von Telemedizin und Telepharmazie
Gemeinwohl und Nachhaltigkeit statt Gewinnorientierung
Verringerung von Wartezeiten durch Termingarantie der Krankenkassen und KVn: Gesetzlich Versicherte sollen genauso schnell wie Privatversicherte einen Termin erhalten. Bei Nichteinhaltung der Termingarantie sollen sie einen Anspruch auf Beitragsreduzierungen haben.
Ausbau der ePA zum persönlichen Berater zur Förderung der individuellen Gesundheit
Stärkung der Prävention, insbesondere auch zur Vermeidung psychischer Erkrankungen
Ausbau der Plätze für eine Psychotherapie - für junge Menschen besonders niedrigschwellig
Schaffung von mehr Gesundheitskiosken
Abbau von geschlechterspezifischen Unterschieden bei Forschung, Diagnostik, Therapie, Prävention und Rehabilitation
Verstärkung der Bemühungen zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln
Ausbau des Pharmaproduktion in Deutschland und Europa
Aufarbeitung der Corona-Pandemie
Schwerpunkt PflegeSchaffung eines gemeinsamen, solidarisch finanzierten Pflegesystems (Pflegebürgerversicherung)
Einbezug der privaten Pflegeversicherung in den RSA zwischen allen Pflegekassen
Pflegekosten-Deckel: Eigenanteil bei stationärer Langzeitpflege soll auf 1.000 Euro/Monat begrenzt werden
Begrenzung der Eigenanteile bei häuslicher Pflege
Investitionsaufwendungen der Heime sollen nicht mehr vollständig auf Bewohner umlegbar sein
Einführung einer Familienpflegezeit mit Familienpflegegeld für mehr Zeitsouveränität pflegender Angehöriger
Bevorzugung pflegender Angehöriger bei der Vergabe von sozialem Wohnraum
Stärkere Nutzung digitaler Produkte und Beratungsangebote für Prävention, Monitoring und Versorgungsvernetzung
Ausbau der Befugnisse von Pflegefachpersonen zur Durchlässigkeit und Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe
Weltweite Anwerbung und Integration von Fachkräften
Bündnis 90/Die GrünenDownload des Wahlprogramms "ZUSAMMEN WACHSEN"
PDF, 1.3 MB
Themen Gesundheit & Pflege ab Seite 87
Die Grünen wollen die GKV umbauen zu einer solidarisch finanzierten Bürgerversicherung. Hierbei wollen sie zur Finanzierung weitere Einkommensarten einbeziehen und die Beitragsbemessungsgrenzen anheben. Auch in der Pflege setzen die Grünen auf die Bürgerversicherung unter Einbezug der privaten Assekuranz. Zudem soll der Berufsstand Pflege gestärkt und die rechtssichere Möglichkeit zur Beschäftigung von 24/7-Pflegekräften aus dem Ausland geschaffen werden.
Aus dem Programm der Grünen:Schwerpunkt GKVEinführung einer Bürgerversicherung unter Einbezug der PKV in den RSA, verpflichtend für alle Versicherten außer Beamte (erhalten ein Wahlrecht mit pauschalem Beihilfgeangebot)
Reform der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) und Verbeitragung von Einnahmen aus Kapitalvermögen
Versicherte und Arbeitgeber sollen von versicherungsfremden Leistungen entlasten werden. Hierzu sollen z. B. die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen oder die Beiträge für Bürgergeldempfänger "angemessener" aus Steuergeldern finanziert werden.
Stärkung der hausärztlich-zentrierten Primärversorgung (niedrigschwelliger Zugang, Lotsenfunktion, Telemedizin, Digitalisierung)
Abbau privater Gesundheitsanbieter mit Spekulations- bzw. Renditeerwartungen und Etablierung von Anbietern mit Gemeinwohlorientierung
Vereinfachter Zugang von Menschen ohne Wohnung, ohne Papiere oder mit ungeklärtem Versicherungsstatus zur Versorgung
Stärkere Beteiligung von Produzenten gesundheitsschädlicher Produkte wie Tabak und Alkohol an den Folgekosten inklusive Regulierung der Werbung für solche Produkte
Schaffung eines Bundesinstituts für den öffentlichen Gesundheitsdienst
Bedarfsgerechter Ausbau von (Psycho-)Therapieplätzen und psychiatrisch-psychosoziale Krisendiensten
Bessere Vorbereitung des Gesundheitswesens auf Epidemien, Pandemien, große Katastrophen und militärische Bedrohungen durch ein Gesundheitssicherstellungsgesetz
Förderung von kommunalen MVZ und Primärversorgungszentren, in denen soziale Beratung integriert wird.
Schaffung von Gesundheitskiosken und Verbünde von Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Versorgungszentren in Gesundheitsregionen.
Entlastung der Gesundheitsfachberufe und Vertragsärzten von "unnötiger" Bürokratie und "überflüssigen" Regressverfahren
Stärkung der Rechte von Patienten nach Behandlungsfehlern
Reform der Notfallversorgung einschließlich des Rettungsdienstes
Lieferketten: Arzneimittelwirkstoffe sollen stärker in Deutschland oder Europa produziert werden
Ausbau der hebammengeleiteten Kreißsäle, bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen für Hebammen
Digitalisierung: Zeitnaher Ausbau der ePA-Funktionen (Speichern weiterer Inhalte)
Einführung einer Widerspruchsregelung bei der Organspende
Schwerpunkt PflegeEinführung einer Pflegebürgerversicherung unter Einbezug der privaten Pflegeversicherung
Programme für Gemeindegesundheitspfleger und "Medizin auf Rädern" (insbesondere in Ostdeutschland)
Stärkung der Tages- und Kurzzeitpflege zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Schaffung eines Pflegebudgets zur flexibleren Inanspruchnahme von Pflege, therapeutischen Leistungen oder Unterstützung bei der Haushaltsführung
Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege mit "Rückkehroffensive" für Pflegekräfte, die das System verlassen haben
Stärkung der Repräsentanz der professionellen Pflege im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
Bessere Berücksichtigung besonderen Bedarfe bei der Pflege, etwa von LSBTIQ
Schaffung einer rechtssicheren Grundlage für die sogenannte 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich von Frauen aus dem östlichen Europa ("Live-Ins")
Freie Demokratische Partei (FDP)Download des Wahlprogramms "Alles lässt sich ändern"
PDF, 854 KB
Themen Gesundheit & Pflege ab Seite 31
Die Freien Demokraten stehen für den Beibehalt des dualen Gesundheitssystems aus privater (PKV) und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV). Die FDP möchte den Wechsel zwischen beiden Systemen aber erleichtern. In der Pflege möchte die FDP ein Drei-Säulen-Modell umsetzen. Dieses besteht aus der umlagefinanzierten sozialen Pflegeversicherung, der privaten Vorsorge und einer betrieblichen Vorsorge.
Aus dem Programm der FDP:Schwerpunkt GKVBeibehalt des dualen System aus gesetzlicher (GKV) und privater (PKV) Krankenversicherung
Stärkung der Wechsel- und Wahlfreiheit der Versicherten
Finanzierung: Ausgaben dürfen künftig nicht stärker wachsen als Einnahmen
Alle Leistungsausweitungen der letzten zehn Jahre werden einem Evidenz-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitscheck unterzogen. Leistungen, die sich nicht bewährt haben, werden gestrichen.
Primärarztsystem: Haus- und Kinderärzte sollten die erste Anlaufstelle für Patienten sein.
Schaffung einer ungekürzten, leistungsgerechten Vergütung aller Gesundheitsberufe
Krankenhausversorgung soll durch Spezialisierung verbessert werden
Vernetzung von Krankenhäusern, Ärzten und Rettungsdiensten mit einer Notfallreform
Abbau von Barrieren bei der sektorenübergreifenden Versorgung
Therapiefreiheit der Behandlung durch freie Berufe ohne Honorarhürden
Frühzeitiger Zugang voon Patienten zu nutzbringenden und innovativen Arzneimittel durch Stärkung des Produktions- und Forschungsstandortes Deutschland
Möglichkeit für Krankenkassen zum Angebot eines reduzierten Zusatzbeitrags für Versicherte, die aktiv Vorsorge betreiben
Verkürzung der Wartezeit auf einen (Psycho-)Therapieplatz (unter vier Wochen)
Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Schaffung von Handlungsempfehlungen
Organspende: Verbleib bei selbstbestimmter Entscheidung, Möglichkeit zur Lebendorganspende
Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben
Schwerpunkt PflegeEntbürokratisierung bei Pflegeanbietern (doppelte Prüfungen, unnötige Nachweis- und Dokumentationspflichten, überbordende Vorgaben)
Steigerung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf für pflegende Angehörige
Gewinnung von mehr Pflegekräften im In- und Ausland bei drastischer Vereinfachung der Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegekräfte
Entlastung des Pflegepersonals durch digitale Anwendungen, Automatisierung und Robotik
Stabilisierung der Beitragssätze durch eine kapitalgedeckte Komponente
Anreize für private Pflegevorsorge schaffen
Gleichbehandlung von betrieblicher Pflegevorsorge und Betriebsrente
Studie zur Bürgerversicherung
Das Konzept einer Bürgerversicherung wird insbesondere von den Parteien des linken politischen Spektrums (SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, BSW) mit jeweils unterschiedlichen Variationen verfolgt. Zentrale Elemente sind insbesondere die Beseitigung der Dualität aus GKV und PKV sowie die Ausdehung der Beitragserhebung auf weitere Einkommen und Personengruppen.
Bereits 2013 hat sich das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) intensiv mit den volkswirtschaftlichen Kosten und Nebenwirkungen einer Bürgerversicherung befasst und eine Studie herausgegeben. Diese trifft im Kern auch auf die aktuellen Konzepte zu.
Wahlprogramme im Vergleich