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Kassen kritisieren Gesundheitsminister

Vorwurf: Lauterbach nimmt "drastische" Beitragssteigerungen tatenlos hin

03.09.2024·In einem Interview hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dem Magazin "Stern" (Freitag) erklärt, dass sich gesetzlich Versicherte erneut auf steigende Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung einstellen müssten. Die Krankenkassen beziffern den Mehrbedarf auf mindestens 0,6 Beitragspunkte und kritisieren den Minster hierfür scharf.

Auf der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lasten laut Krankenkassen immer mehr Ausgaben, die eigentlich in die Zuständigkeit des Staates fallen. Eine entsprechende Gegenfinanzierung über den Bundeszuschuss oder eine Finanzierungsreform sei nicht in Sicht. Vielmehr schaue der Minister dieser Entwicklung tatenlos zu und treibe sie zudem über neue kostenintensive Reformen weiter an. So sehe die von Lauterbach angestrebte Krankenhausreform einen sogenannten Transformationsfonds von insgesamt 50 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre vor, um den Wandel der Krankenhauslandschaft zu finanzieren. Die Länder sollen hierzu 25 Milliarden beitragen; der Bund will seinen Anteil von 25 Milliarden über den Gesundheitsfonds wiederum den Beitragszahlenden der GKV aufbürden.

Kassen: Ökonomische Notwendigkeiten nicht völlig aus dem Blick verlieren

Deutliche Kritik an der Ankündigung Lauterbachs übt der GKV-Spitzenverband in Berlin: Der Bundesgesundheitsminister habe angekündigt, dass er den drastischen Beitragssteigerungen in der GKV tatenlos zusehen werde. "Statt eines Maßnahmenplans, wie die Versorgung der rund 75 Millionen gesetzlich Versicherten endlich wieder auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden kann, kündigt er anscheinend gleichmütig immer weiter steigende Zusatzbeiträge an", so Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Verbandes. Aufgrund der ausgabentreibenden Gesetzgebung der letzten zehn Jahre würden die Zusatzbeitragssätze Anfang des kommenden Jahres um mindestens 0,6 Beitragssatzpunkte steigen müssen, erklärt Pfeiffer. Und hierin seien die vom Minister angekündigten Zusatzkosten der Krankenhausreform noch nicht eingerechnet. Immerhin 90 Prozent der Bevölkerung werde über die GKV versichert und versorgt. Wer wolle, dass dies auch in Zukunft verlässlich funktioniere, dürfe die ökonomischen Notwendigkeiten und die finanziellen Möglichkeiten von Versicherten und deren Arbeitgebern nicht völlig aus dem Blick verlieren.

Lauterbach "teuerster Gesundheitsminister aller Zeiten"

Auch die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, erklärte, es sei allein im Jahr 2025 mit einem zusätzlichen Finanzbedarf von 0,6 Beitragssatzpunkten in der GKV und von 0,25 Beitragssatzpunkten in der Pflegeversicherung auszugehen. "Damit entwickelt sich Karl Lauterbach zum teuersten Bundesgesundheitsminister aller Zeiten. Statt auf die Ausgabenbremse zu treten, damit die Sozialbeiträge nicht weiter aus dem Ruder laufen, will der Minister das Geld der Beitragszahlenden weiter mit vollen Händen ausgeben", so Reimann.

Hohe Sozialbeiträge gefährden Standort Deutschland

Die GKV endlich von Staatsaufgaben zu entlasten, fordern auch die Betriebskrankenkassen (BKK): "Der Bundesgesundheitsminister hat erneut betont, dass er die GKV-Solidargemeinschaft für weitere strukturelle und somit staatliche Aufgaben zur Kasse bitten wird. Allein die permanente Unterfinanzierung der Gesundheitsleistungen für gesetzlich Versicherte mit Bürgergeld beläuft sich auf über 9 Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Webfehler im Gesundheitssystem muss endlich korrigiert werden", so Dr. Ralf Langejürgen, Vorstandschef des BKK-Landesverbandes in München.

Laut BKK-Verband summieren sich alle Sozialversicherungsbeiträge aus Renten-, Pflege, Kranken- und Arbeitslosenversicherung auf insgesamt bis zu 41,5 Prozent, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer hälftig tragen. Nach jüngsten Schätzungen des IGES-Instituts drohe diese Last im Jahr 2035 auf 45,8 Prozent, im ungünstigen Szenario sogar auf bis zu 51,2 Prozent zu steigen. Langejürgen: "Die Beitragssatzschraube ist längst überdreht. Die stetig steigenden Lohnzusatzkosten belasten den Wirtschaftsstandort Deutschland enorm. Der Staat muss seine gesamtgesellschaftlichen Aufgaben endlich übernehmen und der Bundesgesundheitsminister seine ausgabentreibende Gesetzgebung beenden."

IKKn fordern rechtliche Stärkung der Krankenkassen

Zunehmend wälze die Politik die Kosten für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf die Beitragszahlenden der GKV ab, kritisiert Prof. Dr. Jörg Loth, Vorstandschef der IKK Südwest: "Das ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich und muss umgehend korrigiert werden". Ein zentrales Problem sei, so Loth, dass in den letzten Legislaturperioden kostenintensive Leistungsausweitungen beschlossen wurden, mit denen jedoch keine wesentliche Verbesserung der Versorgungsqualität einherging. Beispiele hierfür seien das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG), die zu Mehrkosten von rund 5 Milliarden Euro pro Jahr führten. Gleichzeitig wurden Steuerungsinstrumente für die Kassen eingeschränkt, etwa durch die Abschaffung von Ausschreibungen für Hilfsmittel oder die Einschränkung von Kontroll- und Prüfrechten im stationären Bereich durch das MDK-Reformgesetz.

Vor diesem Hintergrund fordert Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts a. D., eine rechtliche Stärkung der Krankenkassen. Sie müssten Krankenkassen die Befugnis erhalten, vor dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen prüfen zu lassen, wenn die Möglichkeit einer Zweckentfremdung von Beitragsmitteln im Raum stehe. Schlegel verweist auf Universitäten und Rundfunkanstalten, bei denen es anerkannt ist, dass sie vor dem Bundesverfassungsgericht klagen können.

Der Jurist geht aber noch einen Schritt weiter und fordert: "Die besondere Stellung der Träger der Sozialversicherung als Treuhänder ihrer Mitglieder sollte klar herausgestellt werden - Art. 87 Abs. 2 Grundgesetz sollte daher um einen Satz zur Satzungsautonomie ergänzen werden." Er erläutert: Das Grundgesetz habe bereits die grundlegende Entscheidung getroffen, dass die Sozialversicherung als mittelbare Staatsverwaltung ausgestaltet sei. Zur Selbstverwaltung gehöre aber auch eine substanzielle Autonomie der Versicherten, ihrer Träger sowie ihrer Organe. Schlegel weiter: "Es ist angesichts der heutigen Bedeutung der Sozialversicherung, ihres Finanzvolumens und nicht zuletzt ihrer Funktion als ´Garant des sozialen Friedens´ in Deutschland, nicht mehr angemessen, im Selbstverwaltungsgrundsatz lediglich eine innerstaatliche Organisationsform der Dezentralisation zu erblicken." Auch zur Demokratieförderung und -stärkung sei das Prinzip der Selbstverwaltung grundgesetzlich zu verankern, so Schlegel.

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